Was hat es mit der Freiheit auf sich?
In den letzten drei Jahren wurde viel über Freiheit gesprochen und gestritten. Manchmal wurde Freiheit indirekt ausgehandelt in Gesprächen über Verordnungen und neue Gesetze. Oft wurde aber auch ausdrücklich gestritten über den Grad der Freiheit, der für jeden Menschen in unserer Gesellschaft vorgesehen werden kann. Die Diskussion um den Grad der Freiheit in unserer Gesellschaft verlief hitzig und hat Familien und Freundschaften gespalten und sie teilweise auch zu einem Ende gebracht.
In den letzten drei Jahren hat sich etwas gezeigt, was als ständig unterliegende Frage in westlichen, aufgeklärten Gesellschaften immer mitschwingt. Was meine ich mit "aufgeklärt"? Damit meine ich Gesellschaften, die ihre Ideengeschichte auf die Ideen der Aufklärung aufbauten: Infrage stellen von Autoritäten, Stärkung des Individuums, Wissenschaftlichkeit, Materialismus und Säkularisation. Das war der Schritt in die Moderne. Es gab seit langem keine so deutliche Veranlassung mehr über das Verhältnis von Individuum und Gemeinschaft zu debattieren, wie in den drei letzten Jahren. Mal wieder zeigte sich, dass wir etwas erst in unser Bewusstsein holen können, wenn es unsere Komfortzone bedroht. Erst dann beginnen wir zu kämpfen und zu streiten. Das macht Sinn, denn Kampf und Streit sind anstrengend und kosten viel Energie. Der Mensch ist ein auf Eigenenergie-sparen ausgerichtetes Wesen. Nur in besonderen Fällen bringen wir diese Energie für scheinbar Unwesentliches auf: Wir laufen Marathons oder treiben anderen Sport - strengen uns "künstlich" an. Scheinbar gibt es in uns den Drang, uns anzustrengen und damit ein Wohlgefühl herbeizuführen. Und dieser Wunsch nach Wohlgefühl ist im Falle des Sporttreibenden oder des Gärtners (um zwei Beispiele zu nennen) auf die Zukunft ausgerichtet. Indem wir uns in dieser Art anstrengen richten wir uns auf die Zukunft aus. Wir sind also grundsätzlich in der Lage und Willens in unsere Zukunft zu investieren. Vielleicht werden die Gedanken in diesem Aufsatz dazu führen, dass wir auch in anderen Aspekten des kulturellen Lebens immer mehr gewillt sein werden, uns anzustrengen und in einen grundlegenden und zentralen Bereich des Lebens zu investieren.
Dieser Aufsatz ist der Versuch, meine Gedanken zu Freiheit in westlichen Gesellschaften zu erfassen, sie zu strukturieren und in eine gut durchdachte und nachvollziehbare Idee zu formen. Zu schreiben hilft mir beim Denken. Das ist mein Hobby. Und dieses Hobby würde ich Menschen gerne ans Herz legen. Denn Schreiben hilft sich zu strukturieren und all die vielen Gedanken und Ideen zum Leben und zu uns selbst zu ordnen. Das nur am Rande. Es ist eine nicht minder anstrengende Tätigkeit des Geistes, die es uns ermöglicht, hilfreiche Entscheidungen zu treffen und unsere Gedanken mit anderen zu teilen. Seine Gedanken in eine sinnvoll zusammenhängende Form zu bringen, hilft sie besser zu kommunizieren. Menschen, die kommunizieren können sind selbstwirksamer und können andere beeinflussen. Menschen zu beeinflussen in einer positiven Weise bedeutet, viele verschiedene Dinge mit andern gemeinsam tun zu können und darin effektiv zu sein.
Die Frage nach der Freiheit ist in einer Gesellschaft von Individuen immer zentral. Sie steht im Mittelpunkt aller Debatten um Regelungen und Gesetze, die das Zusammenleben formen. Freiheit wird ständig in jedem zwischenmenschlichen Akt explizit oder implizit ausgehandelt. Die Frage nach der Freiheit ist immer mitzudenken! Es scheint, als wäre es jetzt eine gute Zeit oder gar höchste Zeit, sich die Frage zu stellen:
Was hat es mit der Freiheit auf sich? Was überhaupt ist Freiheit? Und: Warum ist sie wichtig?
Wer bin ich und warum interessiere ich mich für Freiheit?
Als Coach stelle ich mir die Frage: Was braucht es, damit Entwicklung sich gut vollziehen kann? Meine Beobachtung sagt mir, dass eine reflektiert getroffene, bewusste Entscheidung ein wichtiger Schritt ist, um konstruktive Lösungen zu finden und sich damit den Herausforderungen im Leben besser gewachsen zu fühlen. Und nicht nur das: Eine so getroffene Entscheidung bestimmt auch, wie wir in der Lage sind, Lösungen außerhalb unserer Komfortzone zu finden. Und nur hierin liegt progressive, positive Entwicklung. Das Gefühl, eine Entscheidung freiwillig getroffen zu haben, nicht gezwungen worden zu sein, intensiviert das Empfinden der Selbstwirksamkeit. Aus diesem Grund interessiere ich mich für die Idee des freien Willens. Und das bringt mit sich, auch die Idee der Freiheit an sich genauer zu erforschen.
Was ist Freiheit überhaupt?
Das Wesen des Menschen ist es, immer mehr über sich und die Welt zu erkennen. Der Mensch ist ein Erkenntniswesen. Das unterscheidet uns maßgeblich vom Tier. Über alles stellen wir uns Fragen: Über das, was wir wahrnehmen im Außen, über unsere Gefühle und Empfindungen im Innen, über unser Verhältnis zur Welt, …
Wenn wir wissen wollen, war Freiheit ist, sollten wir auch hier zu Erkenntnis streben und es sollte die Anstrengungen wert sein. Die Suche nach der Antwort auf die Frage: Was ist Freiheit? ist eine Investition in die Zukunft. Und: Sie ist unumgänglich, wenn wir als Individuen und Gesellschaft eine positive Entwicklung wollen.
Was also ist Freiheit?
"Freiheit (lateinisch libertas) wird in der Regel als die Möglichkeit verstanden, ohne Zwang zwischen unterschiedlichen Möglichkeiten auszuwählen und entscheiden zu können. Der Begriff benennt in Philosophie, Theologie und Recht der Moderne allgemein einen Zustand der Autonomie eines Subjekts." (WIKIPEDIA)
Wie zeigt sich die Freiheit im Leben eins Menschen? Man kann sagen: Darüber gibt es zwei grob unterschiedliche Auffassungen:
1. Wir sind nicht frei, weil wir die Motive unseres Handelns nicht bewusst haben können. Denn diese Motive leiten sich ab aus unserer körperlichen und psychischen Organisation, auf die wir keinen Einfluss haben. Wir sind zu unserem Wollen gezwungen.
2. Wir sind vollkommen frei in unseren Entscheidungen, wenn man uns lässt.
Beide Behauptungen sehen Freiheit als Wahlmöglichkeit an: Tun können, was man will. Beide Lager sehen, Freiheit nicht differenziert genug. Denn:
1: Ja, es besteht die Möglichkeit, die Motive des eigenen Handelns nicht zu erkennen.
Und:
2: Durch Denken ist es uns möglich, diese Motive und damit uns selbst klarer zu sehen; uns aufzuklären über uns selbst.
Das ist Erkenntnis als Ergebnis der Selbstreflexion. Freiheit ist also nicht: Tun, was man will. Sondern Freiheit ist: Wissen, warum man etwas will und daraufhin die Entscheidung über das Handeln treffen.
Es gibt genügend Anlässe und Situationen in unserem Leben, in denen wir uns sogar für die Unfreiheit entscheiden. Das ist zum Beispiel immer so, wenn wir eine Beziehung eingehen. Egal, ob es eine ist mit einem anderen Menschen, mit einem Geschäftspartner oder einem Arbeitgeber, … .
Im sozialen Leben kann – und will – der Mensch niemals vollkommen frei sein. Vollkommen frei kannst du nur sein, in deinem Erkenntnisprozess. Vollkommen frei kannst du nur im Denken sein! Deshalb ist es wichtig, das eigene Denken zu kultivieren, weil du hier und nur hier
◦ 1: ganz Mensch und
◦ 2: ganz ICH sein kannst.
Und darum geht es doch ultimativ: Sich selbst zu erkennen und herauszufinden, wer man als Individuum ist; was der Mensch als Wesen ist; und in welchem Verhältnis der Mensch zur Welt steht.
Warum ist Freiheit wichtig? - Freiheit und Entwicklung
Entwicklung hat Richtungen. Wir können uns "in die Breite" entwickeln und unser Wissen "ausdehnen". Unsere Kenntnis der Welt wird weiter, größer. Der Horizont unseres Wissens verschiebt sich. Es gibt aber auch Entwicklung in vertikaler Richtung. Wenn wir uns zurück entwickeln ist damit verbunden, dass wir vergangene, schon überwundene Denkmuster wieder aufgreifen und zeitweise die Welt so sehen, wie wir sie einmal gesehen haben. Das nennt man Regression. Dem gegenüber steht die Progression: die Entwicklung "nach oben“. Mit "höher" verbinden wir neue Sichtweisen, neue Logiken veränderte Prämissen unseres Denkens. Weil wir die Flughöhe erhöhen, ist es uns möglich die Zusammenhänge von allem deutlicher zu sehen. Wir haben mehr im Blick. Entwicklung nach unten – Regression – geschieht nur im "schnellen Denken", das reflexhaft in Krisen oder bei Herausforderungen, die uns zu groß erscheinen alte Lösungen wieder hervorruft und bestehende Glaubenssätze als Erklärungen bietet. Progression geschieht nur mit eigenständigen, konzentrierten Denken, dass einen Willensakt voraussetzt. Um das konzentrierte Denken zu nutzen, muss ich zuvor eine Entscheidung dazu getroffen haben. Zum konzentrierten Denken kann ich nicht gezwungen werden. Auch wenn äußere Umstände mich zwingen, meine Problemlösemechanismen mit diesem langsamen Denken in Bewegung zu setzen – zum Beispiel weil die Situation für mich so neu ist, dass sie mein Handlungsrepertoire und mein Wissen übersteigt – muss ich mich selbst entschließen zu denken.
Freiheit ist also Autonomie und Selbstbestimmung im Denken und erst in zweiter Linie Handlungsfreiheit.
Warum ist Freiheit wichtig? - Freiheit und Würde
Der Mensch ist das einzige Lebewesen auf dieser Erde, dass eine Form des Denkens entwickelt hat, die das Instinkt– und Reflexhafte übersteigt. Durch diese Form des Denkens erschließen wir uns das Unbekannte in uns und um uns herum. Wir sind das einzige Wesen, dass sich selbst ergründen kann. Der Mensch ist ein erkennendes Wesen. Wir haben einen Erkenntnistrieb, der uns neugierig forschen lässt. Zum konzentrierten, erkenntnisorientierten Denken muss ich mich entscheiden. Das Denken in dieser besonderen Form zeigt nur der Mensch. Es ist das Unterscheidungsmerkmal zum Tier schlechthin. Es ist damit konstituierend für das Menschsein. Es ist die Grundlage für das Streben nach Individualität in allen Dimensionen des Menschseins – also nicht nur im Kleidungsstil, sondern vor allem im Geistes– und Gefühlsleben. Daher ist die Freiheit des Menschen für die Würde des Menschen konstituierend: ohne Freiheit keine Würde. Das Tier hat diese Würde nicht. Es ist dem Willen des Menschen ausgeliefert. Nur der Mensch kann aus freier Entscheidung nach moralischem Urteil bewusst den Weg wählen, auch Tieren die schützende, wohlwollende, nährende Lebensgrundlage zu gewähren, die er selbst braucht, um zu gedeihen. Wir Menschen tun dies aus freien Stücken. Und genau das macht uns zu Menschen. Das ist Menschlichkeit: Freiwillig zu geben, was es zum guten Leben braucht, wonach der andere aber nicht gefragt hat. Darin wachsen wir oder scheitern wir. Freiheit ist moralische Freiheit. Die Verantwortung, die damit einhergeht, ist für den Menschen reserviert.
Im Zentrum der Gedanken um die Freiheit steht die Moral: Die Frage nach dem richtig und Falsch unseres Wollens. Freiheit ist also im Wesentlichen moralische Freiheit, die im Denken getragen und ausgetragen wird.
Unser Denken muss frei sein. Wenn wir unser menschliches (erkennendes!) Wesen entfalten wollen, müssen wir frei sein. Um Mensch zu sein, müssen wir frei sein. Das macht unsere Würde aus.
Was macht uns unfrei?
Freiheit heißt nicht nur die freie Möglichkeit zu wählen. Denn woher können wir wissen, ob wir unbedingt von unbewusst wirkenden Ängsten, Befürchtungen, unbefriedigten Bedürfnissen, Manipulationen, eine Entscheidung getroffen haben? Wenn wir uns ihrer nicht bewusst sind, nehmen uns diese Seelenwirklichkeiten die Freiheit in der Entscheidung. In dieser Hinsicht behalten die Freiheitsskeptiker oder „Freiheit – ist – Illusion“ – Vertreter Recht. Eines aber wird hier außer Acht gelassen oder vergessen: Der Mensch kann der Aufforderung des Orakel von Delphi folgen und sich selbst erkennen. Unsere Fähigkeit zum abstrakten und erkenntnisorientierten, konzentrierten Denken gibt uns diese Möglichkeit. Wir können uns unserer Motive durch Selbstreflexion bewusst werden. In diesem Moment, in dem wir uns unserer Motive bewusst sind, können wir uns sowohl für die Freiheit als auch für das Gebundensein entscheiden. Nur der Mensch ist in der Lage, freiwillig die Unfreiheit zu wählen. Wir tun dies oft in unserem Leben. Jedes Mal, wenn wir uns entschieden, dass Wohl eines anderen Lebewesens bei unserer Entscheidung in Betracht zu ziehen, binden wir uns freiwillig an dieses. Die Voraussetzung für eine freie Entscheidung ist es auch hier, dass wir dies in vollem Bewusstsein tun. Das Eingehen eines Vertrages, die Entscheidung in einer Gemeinschaft leben zu wollen, machen uns unfrei, aber freiwillig. Das ist das Grunddilemma des Menschen. Wir handeln in uns ständig aus, wie viel Freiheit wir für unsere Bedürfnisbefriedigung aufgeben wollen. Denn wir sind sowohl nach Autonomie strebende Wesen als auch Gruppenwesen. Dieser Grundkonflikt ist nicht aufzulösen.
Freier Wille als Illusion
"Der freie Wille ist nur eine nützliche Illusion." So sagt der Neurobiologe Gerhard ROTH von der Universität Bremen. Hervorgerufen wurde diese Ansicht durch Experimente des Hirnforschers Benjamin LIBET , der in 1979 Versuche machte zum zeitlichen Verhältnis von Bereitschaftspotential im Hirn, bewusster Entscheidung zu einer Handlung und dem Zeitpunkt der Handlung selbst. Das Ergebnis war erstaunlich. Denn 0,3 Sekunden vor dem Treffen der Entscheidung war der Aufbau des Bereitschaftspotentials im Hirn bereits messbar. Wer oder was hatte das veranlasst, wenn nicht der Mensch selbst? Dieser war sich je erst 0,3 sek später bewusst, dass er eine Entscheidung traf. Der Aufbau des Experimentes war so gestaltet, dass Reaktionszeiten berücksichtigt wurden. Auf Wikipedia zu lesen:
"Denn wenn der Proband dazu ein Zeichen geben müsste, hätte das bedeutet, dass er eine weitere Handlung ausführt, deren Zeitpunkt durch die unvermeidliche und relativ variable Reaktionszeit zwangsläufig zu ungenau gewesen wäre. Stattdessen ließ Libet seine Versuchspersonen auf eine schnell laufende Uhr blicken, die durch einen kreisenden Lichtpunkt auf einem Oszilloskop realisiert wurde. Ein Umlauf benötigt 2,56 Sekunden, so dass bei einer Ablesegenauigkeit von 6° (entsprechend 1 Sekunde bei einem normalen Sekundenzeiger) etwa 40 ms Genauigkeit erreicht werden. Die Probanden sollten sich die Stellung der Uhr zu dem Zeitpunkt merken, an dem sie den bewussten „Drang“ („urge“) verspürten, die Hand zu bewegen, und die gemerkte Stellung danach mitteilen."
Die Experimente wurden 1999 wiederholt mit dem selben Ergebnis: Das Gehirn weiß vor dem Menschen, dass es (?) eine Entscheidung getroffen hat. Werden unsere Entscheidungen vom Hirn getroffen oder von uns selbst? Sind wir der Illusion eines entscheidungsfähigen Individuums erlegen?
Interessant an dem Versuchsaufbau ist, dass die Forscher erwartet hatten, das Hirn produziere die Wahrnehmung, die es selbst hat. Niemand nimmt an, das Auge produziere das Bild. Sondern wir wissen, das Auge ist Empfangs- und Umwandlungsorgan für Lichtreize. Wie kommen wir zu dieser Vorstellung, zu diesem Verständnis vom Hirn? Gehen wir einen Schritt zurück und schauen auf unsere alltägliche Erfahrung bei der Erkenntnissuche:
Wie suchen wir im Alltag nach Wahrheit? Wir vergewissern uns durch Beobachtung, dass wir ähnliche Ergebnisse bekommen, wenn wir fünf verschiedene Quellen befragen. Diese Quellen sind unsere fünf Basissinne. Dann setzt ein intensiver Denkprozess ein. Wir suchen nach passenden Begriffen, die uns unsere Wahrnehmungen erklären und sie in sinnvolle Verhältnisse zueinander setzen (Vorher/Nachher; Ursache-Wirkung; Zufall; ... ). Dann überprüfen wir unser Ergebnis durch den Austausch mit anderen und fragen, zu welchem Ergebnis sie wohl kommen, bei denselben Beobachtungen. Das tun wir, selbst wenn alle fünf Quellen das gleiche zurückmelden. Der freie Wille ist eine alltägliche und weit verbreitete Erfahrung, die viele Menschen machen. Uns ist auch das Konzept der Verantwortung bekannt. Und sie ist erlebbar. Wir fühlen sie. Sie ist real. Nehmen wir die Erfahrung der Menschen ernst, interpretieren wir nicht hinein, ist der freie Wille eine fundamentale menschliche Erfahrung, die konstant ist über Geschlechter, Generationen, Kulturen und Religionen hinweg.
Brechen wir eine Lanze für die Erfahrung! Legen wir sie so, wie sie in unser Bewusstsein tritt an die Grundlage der weiteren Überlegungen. Nennen wir die menschliche nicht interpretierte Erfahrung "Realität".
Wieso Freiheit als Illusion ein grober Irrtum ist
Die LIBET-Experimente brachten die Forscher zu der Interpretation, unser Gehirn würde unsere Entscheidungen hervorbringen, bevor der Mensch in seinem Bewusstsein diese Entscheidung getroffen hat. Das ist interessant, weil wir von keinem anderen Organ denken, es würde die Erfahrung, die es wahrnimmt, selber hervorbringen. Wir glauben nicht, das Auge brächte das Bild hervor, welches es uns von der Welt vermittelt oder das Ohr erzeuge den Klang, den wir hören. Wir gehen davon aus, dass diese Sinnesorgane Reize aufnehmen und sie weiterleiten an eine Instanz (unser Hirn), dass in neuronalen Netzwerk die Verarbeitung beginnt und eine Repräsentation erstellt. Nur das Hirn soll die Erfahrung des Willens hervorbringen, die wir erleben? Man müsste also klären, warum das so sein sollte.
Weiterhin steht aber die Frage im Raum, warum wir die übergreifende Erfahrung von Menschen, einen freien Willen zu haben, so ernst nehmen sollten, dass wir den freien Willen an sich auch als real betrachten müssen?
Was können wir als real betrachten? Können wir überhaupt eine objektive Wahrheit aufstellen? KANT stellte sich die Frage, ob „synthetische (logische ; Anm. d. V.) Urteile a priori“ möglich sind. Nur wenn sie möglich seien, können wir zur Wahrheit (den Dingen an sich) vordringen. Können wir erkennen, ohne zuvor eine sinnliche, von außen an uns herangetragen Erfahrung, zu machen? Die Vorstellungen, die wir uns von der Welt machen, gründen auf unserer sinnlichen Wahrnehmung. Und diese ist subjektiv. Wie können wir dann auf ihr aufbauend objektive Wahrheit annehmen? Das ist eine berechtigte Frage. Bloß, dass KANT schon mit der Frage, beziehungsweise mit seinem logischen Urteil „nur durch nicht wahrnehmungsgebundene/ an Erfahrung gebundene Urteile" kämen wir zur Wahrheit, ein eben solches Urteil bereits gefällt hat. Wie hat er das gemacht? Wie kommt er zu dieser Annahme? KANT hat gedacht. Kant hat sein Denken bemüht. Scheinbar ist dies für ihn verlässlich genug, um dieses erfahrungsgebunde Urteil zu fällen. Eigentlich stellt KANT die Frage, wie wir Menschen verlässliche Erkenntnis gewinnen können. Er macht den Fehler, das Instrument seines Erkennens, das Denken, beim Urteilen außer Acht zu lassen. Der Logik zur Folge sind alle nach diesem Fehler auftretenden Schlüsse und Urteile fehlerhaft. KANTs Ideengebäude bricht zusammen, weil es auf unsicherem Grund gebaut ist.
Schaut man auf das Feld der Philosophie - vor allem auf die POSTMODERNE (ca. 1875 - 2000), auf dem die Nachfolger KANTs seine Ansicht aufnehmen, der Mensch hätte nicht die Möglichkeit zu den „Dingen an sich“, das ist: zur wahren Wirklichkeit vorzudringen, kann man auch hier einen Irrtum feststellen. Jean-Francois LYOTARD (1924-1998): "In der äußersten Vereinfachung kann man sagen: 'Postmoderne' bedeutet, dass man den Meta-Erzählungen keinen Glauben mehr schenkt." Infolge von KANTs Irrtum gingen postmoderne Denker davon aus, dass es eine objektive Wahrheit und damit auch keine Absolute gibt (wie das Gute, das Wahre und das Schöne, ...). Was in Wirklichkeit "Wahrheit" bestimmt sind die großen "Metanarrative. Und wenn Wahrheit nicht erfasst werden kann, woher wollen wir wissen, dass sie überhaupt existiert? Und sind dann nicht alle von Menschen bisher aufgestellten Wahrheiten Illusionen oder Irrtümer? Existiert Freiheit dann überhaupt?
Immanuel KANT und die Postmoderne
KANT hat der Erkenntnistheorie einen wichtigen Grundstein gelegt. Sein größter Fehler war es jedoch, das eigentliche Werkzeug des Erkennens, nämlich das Denken, nicht zu untersuchen. Dies wäre der erste Schritt gewesen auf dem Weg zu einer Erkenntnistheorie: Sich zu fragen, „wie kann ich überhaupt alle diese Schlüsse ziehen?“ Die Antwort wäre: durch das Denken. Was ist das Denken? Wie funktioniert es? Diese Frage hat sich Kant nie gestellt. Er konnte daher nicht nachweisen, dass der Mensch tatsächlich in der Lage ist, seine Welt wirklich zu erkennen. Kant stellte die Grenze des Erkennens in die Welt. Hinter dieser Grenze, unerreichbar für unsere Erkenntnisfähigkeit, liegen „die Dinge an sich“. Dieser Irrtum wurde von vielen Denker nach ihm aufgenommen und zu einer Grundannahme in ihren Überlegungen. Eine objektive Wahrheit gibt es nicht. Postmodernistische Denker standen zusätzlich in der Ideengeschichte des Sozialismus. Sie nahmen an, dass jede Beziehung zwischen Menschen durchdrungen war vom Machtspiel der „herrschende Meinung“ des Hegemons. Menschen waren aufzuteilen in Unterdrücker und Unterdrückte. Das, was für wahr erachtet wurde, war eine große Erzählung (Metanarrativ) der Unterdrücker, die nur dem Zweck diente, Macht zu erhalten. Es gab keine wahre Erkenntnis. Es gab nur Wissen, das als solches bestimmt wurde durch die unterdrückende Klasse. Um der Unterdrückung durch die große Erzählung zu entkommen, muss alles in Frage gestellt werden. Denn alles kann Teil der großen Erzählung sein. Infolge dieser Gedanken entstand der Dekonstruktivismus. Es ist die Idee von der vollkommenen Zerstörung aller herrschenden Vorstellungen: Schönheit, Recht, Kunst, Moral, Wissen, Freiheit … . Der Dekonstruktivismus ist Wegbereiter für heutige Denkströmungen, die die Auditorien der philosophischen Vorlesungen verlassen haben und nun in den praktischen Alltag der Menschen in westlichen Gesellschaften einziehen. Diese Denkströmungen multiplizieren den anfänglichen KANTschen Irrtum mit weitreichenden Konsequenzen.
FOUCAULT Kinder
Michel FOUCAULT ist einer der wichtigsten und prägendsten Vertreter der Postmoderne und des Dekonstruktivismus. Gegenwärtige Autoren von Büchern mit Ideen wie der Queer- Theory, der kritischer Rassentheorie, der Dekolonialisierungsidee, feministische Theorie u.a. greifen die Vorstellung von Macht als zentralen Interpretationshintergrund von Beziehungen und der Vorstellung von der Nicht-Existenz von absoluten Werten und objektiver Wahrheit auf. Aufgrund dessen sehen diese Autoren sich gezwungen, in jeder Situation und jedem Diskurs nach unterdrückenden Vorstellungen zu suchen. Immer muss klargestellt werden, wo das Unterdrückernarrativ greift. Wer zur unterdrückenden Klasse gehört und wer unterdrückt wird. So wird in jedem Augenblick ein Täter und ein Opfer geschaffen. Jede gesellschaftliche Institution muss in Frage gestellt werden: das Gute, das Wahre, das Schöne, die Frau, der Mann, das Kind, die Ehe, die Familie, die Kunst, das Recht, das normale, das Leben, der Tod,…. Und Begriffe, wie „Heteronormativität, kulturelle Aneignung, Lebenspartnerschaft, gebärende Person, menstrierende Person, Eltern eins und Eltern zwei, selbstbestimmter Tod,… werden als neue Deutungen der Wirklichkeit zur Verfügung gestellt. Die postmodernen Denker, haben die Dekonstruktion soweit getrieben, dass Nihilismus übrig blieb. Wenn alles dekonstruiert ist, was kommt dann? In ihrer marxistisch-sozialistischen Tradition erhebt sich aus den Trümmern des Dekonstruierten eine neue heile (sozialistische) Welt, in der es keine Unterdrückten und Unterdrücker mehr gibt. In dieser Hinsicht ist Sozialismus und auch die sich auf diesem aufbauenden neuen "kritischen Theorien" Religionen.
MARX sieht das so: Der wirkliche Sündenfall und die Vertreibung des Menschen aus dem Garten Eden geschah durch die Aneignung des "Wissens" über das Privateigentum (meins und deins = Trennung). Dies wiederum schuf die Teilung der Arbeit und damit, durch die "Umkehrung der Praxis" (die Gesellschaft macht den Menschen; im Unterschied zur "Praxis" der Unterdrücker, die die Gesellschaft macht) die Teilung der Menschheit. In diesem Sündenfall trennte sich der Mensch von sich selbst, von den anderen, von der Natur, von seiner wahren Natur. Der Marxismus ist daher eine "Theorie" wie der Mensch sich darauf besinnen kann, wer er wirklich ist (ein Sozialist), den Sündenfall (die durch den Glauben an das Privateigentum geschaffene Arbeitsteilung) rückgängig machen und zu seinen eigenen Bedingungen in den Garten Eden zurückkehren kann.
Dekonstruktion und die Aufhebung vom Guten, Wahren und Schönen als "westlich hegemoniale Wahrheitskonstruktion"
Mit den neuen "kritischen Theorien" entstanden neue Theoriegebäude aus dem postmodernistischen Denken. Dazu entwickelte sich die Idee eines Aktivismus - ein angewandter Postmodernismus -, der zum Ziel hat, alle unterdrückenden Strukturen oder Systeme zu zerstören und jede Gelegenheit dazu zu nutzen. Es ist angewandter Postmodernismus,
begriffliche Grenzen zu verwischen und klare Begrifflichkeiten aufzulösen, durch neue Interpretationen und Wortschöpfungen;
Sprache, beziehungsweise Diskurse, immer auf dem Hintergrund von Machtspielen zu interpretieren, und Gesagtes zu problematisieren;
kulturelle Errungenschaften des Westens, grundsätzlich als Machtinstrumente zu sehen und „andere Formen des Wissens“ aus anderen Kulturen als in jeder Hinsicht gleichwertig zu erachten – vor allem in der Hinsicht auf Wissenserwerb.
Und es ist angewandter Postmodernismus, alles Individuelle aufzulösen und Gruppenidentitäten zu schaffen, die die Identitätskategorie vor die Individualität setzen. Das Individuum wird zur Summe aller Identitätsgruppen, zu denen es gleichzeitig gehört (weiß, Frau, Deutsch, Generation Z, nicht behindert, heterosexuell, schlank). Diese Identitäten erlauben eine besondere Perspektive auf die Welt, die die subjektive Perspektive eines Individuums ablöst. Aus der einen subjektiven Perspektive werden Identitätsperspektiven und ersetzen das Absolute und das Objektive. Denn letztere können aufgrund unserer Erkenntnisgrenzen nicht existieren.
Wenn das Absolute, wie das Gute, Wahre und Schöne behauptet wird, kommt diese Behauptung einer – womöglich auch unbewussten – Wirkung des hegemonialen Unterdrückungsnarrativs gleich. Denn Absolutes ist eine Konstruktion. Das Absolute ist ein Irrtum hervorgerufen durch die westliche, herrschende Unterdrückerkultur.
Die Abwesenheit des Objektiven als "Ding an sich" und die einhergehende Leugnung von objektiver Wahrheit
Wahrheit und objektive Wirklichkeit als soziale Konstruktionen anzusehen (POSTMODERNISMUS) oder als "Ding an sich" (KANT) in der Unerreichbarkeit eines "Jenseits" zu verorten, ist zum einen ein logischer Fehler, der in diesem Aufsatz nicht vollständig dargestellt werden kann, sondern es ist zum anderen auch ein Irrtum mit weitreichenden Folgen für das Weltbild der gesamten westlichen Welt. Es durchdringt unser Streben nach Wissen und damit unsere Annahmen über die gesamte Welt - und über Freiheit. Letztere Annahmen beeinflussen jede menschliche Interaktion und unsere Beziehungen zu allem, was uns umgibt. Denn wie FOUCAULT ganz logisch von seinem / diesem Standpunkt aus schloss, gibt es in diesem Weltbild keine absolute Moral, weil es das absolut Gute nicht gibt. Diese Ansicht kann dazu führen, dass der angewandte Postmodernismus die Mittel heiliger als den Zweck erachtet. So kann Ibram KENDI, Autor von Büchern zur kritischen Rassentheorie, Rassismus gegen weiße Menschen als legitim ansehen, um den Rassismus gegen schwarze Menschen zu eliminieren. Was geschehen kann, wenn wir absolute Werte dekonstruieren, relativieren, ablehnen, wird in vielen Filmen über das dystopische Ende der Welt erzählt.
Da der Irrtum, wir wären nicht in der Lage, Wahrheit zu erkennen, hier nicht völlig ausgeführt werden kann, wollen wir zur Kenntnis nehmen, dass das Gegenteil daher auch nicht wahr sein muss: Nämlich, dass KANT und seine "Nachfolger" Recht haben. Da das Denken als Ursprung von Erkenntnis nicht in Betracht gezogen wurde, sind nach den Gesetzen der Logik (die wir hier auch weiter als geltend betrachten wollen) alle Schlüsse, die gezogen wurden zunächst als ebenfalls irrtümlich beiseite zu legen. Das heißt: Wir gehen davon aus, dass die Freiheit im Willen möglich ist, ganz gemäß der Erfahrung der Menschen. Das ist am Anfang alles, was wir haben: unsere tatsächliche Erfahrung.
Wir können nur frei sein, wenn wir unsere Erfahrung für real erachten und Erkenntnis für möglich.
Wie frei sind wir wirklich?
Wenn wir davon ausgehen, dass die menschliche Erfahrung eines freien Willens real ist, dann müssen wir uns trotzdem fragen, wieviel Freiheit überhaupt möglich ist? Und auch, wieviel Freiheit erstrebenswert wäre? Wenn uns unsere Motive nicht bewußt sind, wir sie aber zum Ziel unseres Handelns machen, haben wir dann eine freie Entscheidung getroffen? Wenn ich ein unbefriedigtes Bedürfnis nicht erkenne, mein Handeln aber darauf ausrichte, es zu befriedigen, habe ich dann eine freie Entscheidung getroffen? Wenn ich mich in eine Beziehung begebe, wie frei kann ich dann noch sein? Wenn ich in einer Gemeinschaft lebe, können wir ohne freiheitseinschränkende Regelungen überhaupt friedlich leben? Das sind zentrale Fragen des alltäglichen Lebens.
Wie können wir frei sein?
Wir wollen frei sein. Alle seelisch gesunden Menschen spüren es als Drang, nach Autonomie und Selbstbestimmung. Wir mögen Kontrollen nicht. Aber wie können wir frei sein, wenn uns unsere Motive und Bedürfnisse nicht bewußt, sie aber die Triebfeder unseres Handelns sind? Nur dann kann ich überhaupt entscheiden, ob ich diese Motive zum Ziel meiner Handlungen wählen will, oder jenes Bedürfnis wirklich befriedigen will, wenn ich es bewußt habe. Wir müssen in der Lage sein, diese Kräfte hinter unseren Handlungen zu erkennen, wenn wir frei sein wollen. Dies gelingt nur allein durch unsere Denktätigkeit. Die Denktätigkeit und die Fähigkeit dazu sind also Voraussetzungen zur Freiheit. Ich kann nur so frei sein, wie ich fähig bin, mein Denken zu betätigen und meinem Denken zu vertrauen. Das ist: Die Erkenntnismöglichkeit von Wahrheit über mich und die Welt als real zu nehmen.
Angenommen ein Mensch beherrscht die Fähigkeit zu denken weltmeisterlich. Was braucht es noch, um die Motive des Handelns zu ergründen? Dazu müssen wir einen Blick auf das Denken selbst werfen: Mit unserem Denken ordnen wir unsere Erfahrungen zu einem sinnhaften Ganzen, indem wir Begriffe finden, die das Verhältnis unserer Wahrnehmungen (Erfahrungen) zueinander beschreiben. Wir bringen also unser Wissen mit unserer Erfahrung zusammen und generieren so im besten Fall weiter angereichertes Wissen. Wenn uns Wissen fehlt oder wir aufgrund von mangelndem Interesse an der Welt ein sehr eingeschränktes Wissen haben, können wir weniger Wissen generieren und haben weniger Begriffe zur Verfügung, um unsere Erfahrung zu beschreiben und zu verstehen. Wer viel weiß, wird vielmehr Wissen haben. Wer wenig weiß, wird nur mühsam neues Wissen schöpfen können. Und letzterer hat eine kleinere Grundlage, seine Erfahrung und sich selbst zu verstehen.
Derjenige, der viel weiß, hat somit eine bessere Voraussetzung zur Freiheit, als derjenige mit wenig Wissen. Die Summe der Begriffe, die wir uns von der Welt gebildet haben steht in proportionalem Verhältnis zu unserem Freiheitspotential. Und sie lässt es sogar noch exponentiell wachsen, je mehr wir in der Lage sind, abstrakte Begriffe zu bilden. Die Fähigkeit zu denken, Begriffe zu bilden, abstrakt zu denken und das Interesse an der Welt sind Faktoren, die den Grad an Freiheit bestimmen, den wir erlangen können.
"Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt." - Ludwig WITTGENSTEIN (1898 - 1951)
Das Denken
Daniel KAHNEMANN forscht im Feld der Wahrnehmungspsychologie. Mit seinem Freund und Kollegen Amos TVERSKY hat er zwei Arten von Denken bei Menschen beobachten können: das schnelle und das langsame Denken. Wenn wir im Alltag auf unser unbewusstes oder implizites – zu weilen vermeintliches – Wissen zurückgreifen, tun wir das quasi reflexhaft. Das ist das schnelle Denken. Es kostet nicht viel Kraft, geht schnell, ist relativ zuverlässig. Das schnelle Denken hat den Nachteil, dass es nichts Neues schafft und Fehler und negative Muster reproduziert. Im Unterschied dazu hilft das langsame Denken bei der Problemlösung. Probleme sind Chancen auf positive Entwicklung, weil sie das Verweilen in der Komfortzone herausfordern. Hier liegt die Chance darin, alte Muster aufzubrechen und neue Verhaltensweisen und Perspektiven zu erlernen und neue Ideen hervor zu bringen. Der Nachteil: Es braucht Zeit und Energie. Wir müssen Willen und Disziplin aufbringen, um diese Art des Denkens in uns zu nutzen. An dieser Stelle muss eine Lanze gebrochen werden für diese unsere besondere Fähigkeit: Sie hilft uns, Erfolge im Leben zu erzielen und die Welt um uns und in uns immer besser zu erschließen. Auf diesem Weg entdecken wir unsere Welt und verlassen die Insel der Ignoranz. Themen, die wichtig sind für die menschliche Entwicklung, sollten wir uns auf diesem Erkenntnisweg nähern. Ohne das langsame Denken wären wir immer noch in Höhlen wohnende Jäger (wahrscheinlich ohne Speer und Bogen).
Der Mensch als das denkende Tier
Der Mensch ist ein Doppelwesen. Über unseren Körper sind wir mit der Natur verbunden. Unser Körper ist der Teil unseres Seins, der reflexhaft, triebhaft auf die Welt reagiert. Hier spielen sich alle Reaktionen auf unsere Erfahrung ab. Eine Form unseres Denkens reagiert ebenso reflexhaft auf unsere Erfahrung, wie unser Körper. Unser Körper ist unsere tierische Seite. ARISTOTELES
nannte den Menschen "das denkende Tier". Über das Denken ist es erst möglich, unsere Menschlichkeit zu entwickeln. Die Fähigkeit zu abstraktem Denken ohne Impulse aus den Sinneswahrnehmungen macht den Unterschied schlechthin zum Tier. Unser Ich-Bewusstsein , mit dem wir unsere Individualität erkennen können und sie entwickeln, ist das Besondere am Menschen. Man kann soweit gehen, das höhere Denken als das Merkmal schlechthin zu bezeichnen, das uns zum Menschen macht.
Der Mensch als die Krone der Schöpfung
Nicht anzuerkennen, dass der Mensch durch seine Fähigkeit zum höheren Denken die Krone und der Grund der Schöpfung ist, gleicht dem Nicht- Wissen des Samenkorns über das in ihm liegende Potenzial und seine Bestimmung. So wie der Mensch im Laufe der Menschheitsgeschichte sein Bewusstsein immer höher schwingt in das Verstehen und Sehen geistiger (gedanklicher) Prozesse und sich dadurch die Welt, die Schöpfung erkennend zu eigen macht, so wächst das Samenkorn von seiner Unscheinbarkeit zur prachtvollen Blume mit der schönsten Blüte.
Wollen wir diese Analogie als Bild für die geistige und kulturelle Menschheitsentwicklung ein wenig weiter betrachten und das Samenkorn im Geiste durch den Menschen ersetzen: Das Samenkorn liegt von der Erde bedeckt ruhend da, bis sich in ihm der Impuls zu Entwicklung regt. Dieser Impuls hat zur Folge, dass sich aus dem Samenkorn Wurzelansätze herausschieben. Diese Wurzelansätze wachsen in die Erde hinein und werden in der weiteren Entwicklung sicherstellen, dass der Samen mit der Erde, die ihn nährt, in Verbundenheit bleibt. Was geschieht als Nächstes nach der Ausbildung der Wurzelansätze bei der Entwicklung des Samenkorns zur Blume?
Der zweite wichtige Impuls ist das Durchstoßen des eigentlichen Pflanzenkeimlings durch die Schale des Samens. Dieser Keimling wächst im Unterschied zum Wurzelansatz nach oben. Es liegt in ihm, sich gegen die Schwerkraft aufzurichten. Etwas in ihm weiß, dass diese Entwicklungsrichtung ihn zum Licht führen wird. Wenn dieser kleine Pflanzenansatz durch die Schale des Samens stößt, ist es um ihn herum dunkel. Er sieht das Licht nicht, so lange sein Wachsen und Wollen unterhalb der Erdoberfläche stattfindet. Deshalb sieht er auch die anderen Pflanzen nicht, die bereits in ihrer Entwicklung fortgeschritten sind und herrliche Blüten als Kronen tragen. Dieser kleine Keimling weiß nichts davon, wo das in ihm schlummernde Potenzial in hintragen wird.
Der Unterschied zwischen Pflanzenkeimling und Menschenkeimling ist es, dass Letzterer die Fähigkeit in sich trägt, Willen zur geistigen Entwicklung aufzubringen und Erkenntnis aktiv anzustreben. Auf diese Weise kann der Menschenkeimling pionierhaft VOR-denken und erfassen, wohin die Entwicklung seines Geschlechts geht. Das kann der Pflanzenkeimling nicht. Der Pflanzenkeimling wird nie in der Lage sein, seine eigene prachtvolle Schönheit zu erkennen, sie zu bewundern und dankbar für sie zu sein.
Anders der Menschenkeimling: Als Menschenkeimling trägt er schon ein Bewusstsein von sich selbst. Er weiß von sich. Er weiß vom anderen. Er strebt nach der Erkenntnis, wie der Pflanzenkeimling nach dem Licht. Aufgrund unseres SELBST-Bewusstseins und unserer Erkenntniskraft sind wir in der Lage, all das zu verstehen. Nur der Mensch kann beim Wachsen sehen, was er werden kann. Nur der Mensch begleitet diesen Entwicklungsprozess mit steigendem Bewusstsein. Nur der Mensch kann Analogien ziehen, wie diese. Und nur der Mensch kann in ihnen Sinn sehen und eine Idee von seiner eigenen Entwicklung ableiten. Nur der Mensch kann Ideen haben und so der Welt Sinn geben und Bedeutung.
Erkenne Dich selbst - der Ouroboros
Tausendfach am Tag wird unser Bedürfnis nach Erkenntnis geweckt und nicht immer gestillt. Wir sind in gewisser Weise zur Unzufriedenheit, geboren, weil wir immer mehr wollen, als die Welt uns an Antworten gibt. Auch auf uns selbst bezogen wird dies so sein. Immer weiter verändern wir uns. Wir wachsen, lernen dazu und entwickeln neue Ideen über uns selbst. Also müssen wir immer weiter auf die Suche nach unseren Motiven gehen. Der Prozess der Selbsterkenntnis scheint Ziel und Weg zugleich zu sein. So wie diese geheimnisvolle Schlange, die sich in den schwanz beißt, sich selbst verzehrt oder auch sich selbst hervorbringt.